«I chume grad!»
Umständehalber war ich jüngst ein paar Tage im Lazarett. Vom Militär – aber das liegt mit Alter 83+ schon ein paar Jahrzehnte zurück – bin ich mich spartanisches Leben gewohnt und lag daher auf der Allgemeinabteilung. Wenn ich nämlich ins Spital muss, dann gilt: möglichst kurzer Aufenthalt und möglichst gesund wieder heim. Dazu brauche ich kein Lifestyle-Zimmer.
Die Betreuung war hervorragend – und dafür sei Dank! Gestört hat mich nur ein Zimmergenosse, der sehr früh morgens sein Handy auf Lautstärke 10 laufen liess, um dem Imam mit seinen Gebeten zu folgen. Sein Bett war zwar nicht nach Mekka ausgerichtet, aber alle Bettnachbarn fühlten sich dennoch widerwillig in einer Moschee. Den Kopfhörer hat der gläubige Mitpatient dann erst nachher ganztags getragen…
Aber davon wollte ich eigentlich nicht berichten, sondern von der Betreuung durch die kompetenten und fleissigen, oft gehetzten «Schwestern» (was zwar äusserst sympathisch klingt, aber eigentlich verboten ist; «Pflegefachfrau» heisst es korrekt). – Hatte man ein Anliegen, hiess es stets «I chume grad!». Die Bedeutung dieses Begriffs habe ich nun 1:1 kennengelernt. Sagt die Schwester das, kann man sich ruhig eine Stunde entfernen, wird nicht vermisst und nicht gesucht. Zurück im oder auf dem Bett, hat die Schwester dann nach etwa einer halben Stunde Zeit, sich das Anliegen anzuhören.
«I chume grad!» ist so nichts sagend wie das neu-deutsche Modewort «zeitnah», nach Duden eigentlich «sofort». Aber weit gefehlt: Fragt man irgendwo per Mail nach, erhält man umgehend die automatisch generierte Nachricht: «Ihr Anliegen erledigen wir zeitnah.» Dann beginnt das Warten, manchmal Tage, manchmal Wochen, oft auch vergeblich. – Nur einmal bin ich im Spital mit dem Handy gesucht worden, weil eine unplanmässige Untersuchung anstand. Meine Antwort? Na klar: «I chume grad». Und zeitnah (gemäss Duden) war ich am Ort!
Zurück zur heutigen Sprache: Ebenso nichts sagend ist bei Störungen irgend welcher Art die Placebo-Beruhigung «Wir arbeiten mit Hochdruck daran». Die armen Teufel tun mir wirklich leid: Statt genüsslich auf dem Bürostuhl zu hocken, müssen sie mit Hochdruck an die Säcke. Wenn Swisscom, wie so oft, und andere Dienste aussteigen, dann wird an deren Lösung mit Hochdruck gearbeitet.
Wie hat man sich das eigentlich vorzustellen? Das Gegenteil wäre ja Tiefdruck. Doch das bringt mich nicht weiter. Schon eher «unter Druck». Aber das wiederum ist heutzutage schon fast gar ein Fremdwort. Zu meiner Zeit (ja, ja, die gute alte Zeit!) ging’s eigentlich nur aufwärts, aber nur für jene, die dauernd unter Druck standen. Psychologen und Psychiater, deren Dienste heute massiv zur Kostensteigerung im Gesundheitswesen beitragen, gab es damals kaum. Man hat gekrampft und war zufrieden, ja glücklich, etwas erreicht zu haben.
«I chume grad!» höre ich nicht nur im Spital (dort allerdings zu oft), sondern immer wieder im täglichen Leben. Noch unverbindlicher kann man seine Bereitschaft nicht ausdrücken. Auch «zeitnah» und «mit Hochdruck» gehören in die unterste Sprachschublade.
Ganz locker ohne Zeitdruck geschrieben
von Christoph Tromp